Der Mann der Konsense

Zum Tod von Werner Müller

Heute Nacht ist Werner Müller gestorben. Meine Gedanken sind bei seiner Frau, seinen Kindern und Enkeln, die mit diesem Verlust leben müssen.

Ich habe einen Freund verloren. Es war eine ungewöhnliche Freundschaft. Wir waren schon sehr unterschiedlich. Er spielte und hörte klassische Musik. Ich komme aus der New-Wave-Ecke. Hier einer, der in der Energiebranche groß wurde – und auf der anderen Seite ein ehemaliger Hausbesetzer und Gorleben-Demonstrant.

Werner Müller war – obwohl kein Parteimitglied – der letzte wirklich sozialdemokratische Wirtschaftsminister. Er war konfrontiert mit einem grünen Umweltminister, der die Wirtschaft für Energiewende und Klimaschutz umbauen wollte.

In den Nachrufen auf Werner Müller ist die Rede vom „letzten Ruhrbaron“. Wenn man ihn ärgern wollte, musste man ihm das vorhalten. Nicht nur, weil er sich dann in seinem Ehrgeiz ertappt sah. Doch die Unterschiede zu den alten Ruhrbaronen sind evident. Werner Müller hat das Ruhrgebiet sozial und kulturell in die Lage versetzt, sich endlich von Kohle und Stahl zu verabschieden.

Dabei half ihm sein bodenständiger Realismus. Er war kein überzeugter Atomkraftgegner. Aber er erkannte früh, dass Strom durch Kernspaltung keine Akzeptanz in der breiten Bevölkerung mehr fand. Er sah keine Zukunft in einem Geschäftsmodell, das eine Ware verkaufen wollte, die die Kunden ablehnten. Für diese Erkenntnis musste er in der Branche viele Anfeindungen aushalten.

Der gleiche Realismus leitete ihn als er zur Abwicklung des Steinkohlebergbau das Modell der RAG-Stiftung vorschlug. Deutschland beendete ohne betriebsbedingte Kündigungen eine lange industrielle Tradition und schuf sich einen Mechanismus, die Ewigkeitslasten zu finanzieren. So kam es.

In Wahrheit war Werner Müller der letzte Vertreter des rheinischen Kapitalismus. Er hatte eine Idee von Gesellschaft. Und zwar von einer Gesellschaft, die mehr ist als die Summe der Individuen. In dieser Gesellschaft hören Interessensunterschiede nicht einfach auf zu existieren. Es gibt den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, Arm und Reich, den zwischen Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft, zwischen Ökonomie und Ökologie.

Doch es war Werner Müllers Überzeugung, dass das Austragen dieser Konflikte am Ende in Konsense münden müsse. Deshalb sein Beharren auf einem schrittweisen, geordneten Ausstieg aus der Atomenergie im Konsens mit den Unternehmen.

Dabei war er von einer fast altmodischen Kaufmannsehre geprägt, bei der Vertrag noch Vertrag war, ein Handschlag etwas zählte. Wie wenig das für andere galt, zeigte sich 2009. Damals drängten die Vorstände der Energiekonzerne auf eine Laufzeitverlängerung – entgegen des von ihnen selbst unterschriebenen Atomkonsenses.

Da war es gut, dass dieser Konsens nicht nur in einem Vertrag, sondern auch im Gesetz festgeschrieben war – zu dem Frau Merkel nach Fukushima zurückkehren konnte.

Den Atomkonsens hätte es ohne die Zusammenarbeit mit Werner Müller nicht gegeben. Doch das Modell des Konsenses wirkte weit über die Energiepolitik hinaus. Der Ausstieg aus der Steinkohle ging uns Grünen natürlich zu langsam – aber auch er wurde am Ende über einen gesellschaftlichen Konsens erreicht. Und der wiederum war stilbildend für den Konsens zu Finanzierung des Atomausstiegs.

Es ging dabei nie um Konsens als Selbstzweck. Atomkonsens. Steinkohleausstieg – all diese Konsense beendeten große Konfrontationen, die die Gesellschaft polarisierten. Sie beendeten die Blockade der Besitzstandswahrer und öffneten den Weg für strukturelle Veränderungen, langsamer als gedacht, doch oft unumkehrbar. Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft braucht Konsense, die auch die Verlierer von Veränderung mitnehmen. Solche Konsense dienen dem gesellschaftlichen Umbau.

Ich hätte Werner Müller gewünscht, dass er auch die Umsetzung des gefundenen Konsenses zum Kohleausstieg noch hätte erleben dürfen. Ein Konsens ganz in seinem Sinne.

Vor allem aber hätte ich Werner Müller noch viel Zeit zum Wandern im Engadin, mit seinen Enkeln und mit seiner Frau gewünscht. Und eine erfolgreiche Saison der Borussia. Nur zu deren Spielen gegen Werder wären wir mit unterschiedlichen Schals gekommen. Er schwarz-gelb und ich grün-weiß. Bei unserer letzten gemeinsamen Begegnung hat Werder gewonnen. Lieber Werner Müller, ich hätte Ihnen die Chance auf ein Rückspiel so sehr gewünscht.

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